Logo von Mastermyr fahrende Handwerker in der Tradition der Wikinger

Wie wird man eigentlich Reenactor?

Es beginnt mit der gründlichen Recherche, dann erfolgt das Aussuchen der Rolle, mit der man sich identifizieren kann (oder aber dem Erfinden einer solchen Person, die aber hätte sein können), dann kommt das Rolle lernen und üben, und dann der Test mit Gästen auf dem Markt, der Ausstellung, oder wo auch immer. Dabei wird die Rolle (aufgrund der Rückmeldungen) weiter verfeinert, sie bekommt einen ganz individuellen Charakter, meist deutlich abweichend von einem selber, eigene, unerwartete Charakterzüge, ganz anders, als man es sich vorgestellt hat.

Natürlich hat man immer noch alles mögliche nebenbei zu beachten, aber man spielt ihn gar nicht mehr. Er ist zu jemand geworden, den man erst kennenlernen musste. nur mit dem Unterschied, dass er nicht "da draussen" ist, sondern ein zusätzlicher Teil von mir geworden ist. Dann ist er nicht nur authentisch, sondern er ist einfach "echt". Und das spüren die anderen.

Bei jedem Reenactment ist eine gründliche Recherche notwendig, aber im Fall der Wikinger ist das noch anspruchsvoller, weil die bekannten "Fakten" genauso einseitig und falsch sind wie die Verdrehungen und Verherrlichungen:
Wer sich an den Nibelungen orientiert, wird nie einen Wikinger verstehen, wer die katholischen Kirchenberichte liest, sieht nur ihre Grausamkeit und ihr "Barbarentum", wer die Esoteriker als Quelle nimmt, findet weichgespülte, angenehme Wikis. Überall dort kann man echte Informationen finden, aber man muss immer die Tendenzen und Absichten von dem abziehen, was man da an "Informationen" bekommt. Man ist also immer auf der Suche nach dem Körnchen Wahrheit.
Diese Körnchen werden alle zusammengetragen, und daraus formt sich, wenn man sehr geduldig ist, ein Haufen Körnchen.

Bevor man jetzt mit der Identifizierung anfängt, sind noch ein paar Entscheidungen zu treffen:
Gehe ich mit dem Mainstream, mache ich es wie alle anderen, oder suche ich mir einen eigenen, individuellen Weg.
Stelle ich also wie fast alle "jemand Bedeutenden" (Ritter, Jarl, ...) dar, oder entscheide ich mich für jemand einfachen, einen Bauern, Handwerker...
Habe ich auch Hörner, weil sie alle haben, trage ich ein Kopftuch, weil es alle machen, ...
Wie heisst er, wo kommt er her, was ist er von Beruf, Frau, Kinder, Freunde, Verwandte, Sippe, wie alt, wie gesund, was hat er erlebt?

Von all dem zusammengetragenen Material muss ich noch mal kräftig Abstriche machen, wenn ich mir keinen Promi ausgesucht habe. Dafür kann mir keiner sagen, dass mein ausgesuchter Promi doch im Jahr ... laut ... gar nicht in ... gewesen sein kann, weil er laut ... doch dort und dort war.

Dann muss ich noch aufgrund von Funden sicherstellen, dass dieser Typ, der sich da langsam "rausschält", auch tatsächlich so gelebt haben könnte.
Also keiner der Wikinger, die die Weltraumfahrt als Hobby hatten, denn das könnte in den Geschichtsbüchern Niederschlag gefunden haben.

Und genau hier ist der Fehler der vielerorts verhassten "Authentizismus-Fanaten": Authentisch ist für sie nur, was eindeutig, und von der Wissenschaft anerkannt ist, und nur das darf sein. Nein, das ist dummer Fanatismus, fast noch schlimmer las all die Plastikschwerter und Plüsch-Prinzessinnen, denn genau diese Leute sollten es besser wissen: Authentisch ist alles, was nach allen Regeln der Überprüfung war - ODER hätte sein können. Wenn es also zu dieser Zeit möglich war, weil die technischen Voraussetzungen gegeben waren, die Idee in die Zeit passt, und es nicht eine spürbare Auswirkung gehabt hätte, von der man hätte lesen können, dann ist es authentisch. Was meint ihr, wie viel noch ausgegraben wird, das wiederum "ganz neue" Erkenntnisse ermöglicht. Und wie viel sich als absoluter Unsinn herausstellt. Die Geschichte der Wikinger besteht vorwiegend aus Irrtümern und ganz wenig Wahrheit. Alle 5 Jahre muss man eine ganze Menge von "Fakten" als das beerdigen, was sie waren: dumme, voreilige Schlussfolgerungen, die sofort von allen Authentic-Freaks nachgemacht wurden. Also denkt mehr selber, und seid ein wenig nachsichtig mit den Wissenschaftlern, die haben einen speziellen Ritus, wie aus einer Entdeckung eine Lehrmeinung wird, und, ähnlich wie bei einem Medikamententest, nach etlichen Jahren eventuell eine Tatsache. Ob diese Tatsache aber (wie beim Medikament) eine amtliche Zulassung bekommt, das hängt von Faktoren ab, die selbst ich nicht verstehe. Von Logik oder Tatsachen lässt sich dieser Prozess jedenfalls nicht beeindrucken. Und trotzdem irren sich diese Amtlichen Wissenschaftler dauernd, haben jede heute anerkannte Erkenntnis geleugnet, und wenn sie sich doch mal bewegen, dann oft nicht zum Besseren.

Ein paar Anmerkungen zum Bewerten der gefundenen Fakten:

Wir müssen als erstes den Promi-Bonus und den Sensationsbonus abziehen:
Die Anhänger des Islamischen Glaubens leiden ja (genau wie die Wikinger) darunter, dass einige wenige aus ihren Reihen, die Radikalen, extreme Aufmerksamkeit erhalten, und ein verzerrtes Bild entsteht.
Die grosse Mehrheit der friedlichen und anständigen Moslems ist eben nicht medienpräsent, sondern nur die Extremisten, die Bomben legen oder sich in die Luft sprengen.

Auch bei den Wikingern gab es eben eine kleine Minderheit, die für Schlagzeilen sorgte. Die vielen Handwerker, Bauern, Händler und einfache Leute, die es auch gab, und die die grosse Mehrheit bildeten, blieb immer unerwähnt.

Und auch bei den Funden haben wir ein Promi-Problem:
Nur einige hochgestellte Persönlichkeiten wurden mit riesigem Aufwand bestattet, und diese Gräber haben wir finden können, und nur diese Funde sind allgemein bekannt.
Nicht allgemein bekannt sind all die Wissenschaftler und Helfer, die Abfallgruben durchwühlt haben, jede Menge kleine Details zusammengetragen haben, aber eben keine Sensation zutage fördern konnten.

Aber wie bei jedem mir bekannten Volk bestand das tägliche Leben aus Alltag. Erzählt hingegen wurden die Geschichten, die sensationell, ungewöhnlich, oder anderweitig erwähnenswert waren.

Dieses tägliche Leben war für die Geschichtsschreibung noch nie interessant. Umso interessanter ist dieses alltägliche Leben für uns, denn unsere Figur, unser fahrender Handwerker, war eben kein Promi, bekam kein geschmücktes Grab, aber durch ihn und sein Leben können wir viel darüber lernen, wie das Leben der "Normalos" tatsächlich war.

Wir müssen davon so viel wie möglich wissen, denn wir wollen es ja plausibel, glaubhaft, aber auch persönlich und interessant darstellen, Das heisst für uns REENACTOR sein. Wir sind dieser Mann, der mit seinem Karren und seinem Werkzeug zu einer neuen Arbeitsstätte unterwegs war, wir versuchen, mit seinen Augen zusehen, mit seinen Händen zu arbeiten, und abends am Feuer seinen Geschichten zu lauschen.

Das ist der besondere Reiz daran, es ist wie Schauspielern, aber viel intensiver, und viel andauernder. Man schlüpft für Tage in diese Rolle, man steht damit auf, man geht damit schlafen. Man diskutiert darüber und träumt davon. Man muss sich manchmal nach einem erfolgreichen Markt regelrecht "losreissen", um wieder diese Rolle abzustreifen.

Und man bekommt durch die Besucher ein unglaubliches Echo, auch wenn die eher wegen der Schlacht gekommen sind, und wegen der glänzenden Ritter. Wenn man es geschafft hat, sie zu faszinieren, sich darauf einzulassen, wenn sie eine Erfahrung machen, die für sie unbekannt war, dann erhält man selbst auch die Belohnung für die Mühe.
Und wenn es dann noch einen "begreifbaren", also anfassbaren Erfolg ihrer Arbeit gibt, den sie mitnehmen können, dann haben sie eben von diesem Handwerker wirklich etwas mitgenommen, etwas, das unter die Rubrik "wertvolle Erfahrung" fällt, und das ansteckend ist.

Und nur in dieser Interaktion ist es möglich, komplett dieser Handwerker zu sein, es ist nicht gespielt, es ist echt und authentisch. Viele habe mir genau das bestätigt: Als wärst Du echt aus der Zeit

Unser neues Authentisch:

Kreativ-Authentisch zum Anfassen< und Selber-Erleben

Wir haben dieses Jahr auf den Märkten so viel Interessenten gehabt, dass wir die Leute wegschicken mussten, und das gibt uns recht: Der Besucher will etwas selber machen, nicht nur zuschauen oder kaufen, er will etwas "begreifen", und das geht mit den Fingern. Authentisches Handwerk bietet sich da (unter anderem) an, dazu sollte man Werkzeuge in "vorzeigbar" haben, dazu das richtige Material und das Wissen, wie man damit arbeitet.
Ein paar Vorlagen oder Beispiele, Rat und Hilfe, soweit gewünscht, und ausreichend Auswahl in den Projekten. Schon "arbeiten" die Kunden, und die nächsten stehen schon Schlange - aber !

Schraubt Eure Ansprüche auf ein vernünftiges Mass herunter:
Was diese Kunden machen, muss gar nicht authentisch sein, dieser Anspruch gilt für Euch, nicht für sie !
Ihr habt ja beim Arbeiten die Gelegenheit, zu erklären oder zu zeigen, wie es (nach Eurem Wissensstand) authentisch war. Also z.B. die Form einer Rune, ja, die ist bekannt, aber wenn sie der Kunde anders haben möchte, warum denn nicht?

Authentisch sollte nicht mit Belehren oder Besserwisser verwechselt werden, sonst machen wir den gleichen Fehler wie die Geschichtsbücher in der Schule. Wenn man Geschichte "erlebt", praktiziert, dann wird sie richtig spannend.
Und Geschichten erzählen ist besser als Geschichte lernen. So merkt man sich das auch leichter.

Also überlegt Euch doch ein paar Geschichten, die mit den "Projekten" etwas zu tun haben, die kann man dann zur Arbeit "servieren".

Also schafft ein passendes Ambiente, stellt authentische Werkzeuge, Materialien, und Arbeitsmethoden zur Verfügung, helft bei der Ideenfindung, und bietet Hilfe an, sofern sie gewünscht ist, ein paar Worte über Verletzungsgefahren, und dann:

Nehmt Euch vornehm zurück, Ihr seid nicht die Hauptperson, um Euch geht’s gar nicht.
Der Besucher muss Euch auch nicht für Eure tolle neue und voll authentische Gürteltasche loben, das ist nicht sein Job.
Euer authentisches, aber auch "echtes" und überzeugendes Auftreten ist kein "Extra", sondern sollte selbverständliche Voraussetzung für Euren Job sein, dafür muss man Euch nicht loben. Wenn Ihr weniger ein Ausstellungsstück, sondern mehr "zum Anfassen" seid, wird auch das positive Echo nicht ausbleiben, aber dafür müsst Ihr Euch auch in Eurem "Aufzug" (Klamotten, Zelt, Präsentation...) wohl fühlen.

Das ist unserer Ansicht der Unterschied zwischen Reenactment und Selbstbeweihräucherung.

Was meint Ihr, was besser ankommt?

Ronja