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Eine Frauengewandung entwerfen, planen und nähen

Für die Gewandung, die man üblicherweise auf den Märkten sieht, gibt es viele Anleitungen und Schnittmuster auf diversen Internetseiten, aber auch Bücher. Was ich Euch hier vorstellen möchte, ist eine besondere Variante, die Euch zu einem Unikat verhelfen kann.

Die Interpretationsmethode

Sie ist eher für fortgeschrittene Näher geeignet, die wissen, wie man aus einer Entwurfsskizze und den persönlichen Maßen ein Schnittmuster erstellt, und das dann zusammen näht.

Wenn ihr Anfänger seid, könnt ihr zumindest dieses konkrete Beispiel von mir gut selbst nachmachen, und mit ein wenig Übung auch später die Interpretationsmethode selbst anwenden.

Man braucht dazu ein wenig ein Grundwissen, und muss sich bei jedem Schritt für eine Möglichkeit entscheiden. Genau diese Vielfalt der Möglichkeiten (und anschliessende Ideenumsetzung) macht sie für mich so reizvoll.

Die Bilder wurden von mir gezeichnet. Ihr dürft sie gerne kopieren oder verlinken, bitte beachtet aber unser Copyright, und gebt an, woher ihr sie habt.

Dies ist meine ganz persönliche Interpretation, natürlich kann man da auch ganz was anderes rauslesen.

Dazu benötigt man eine Darstellung aus der Zeit, die man darstellen möchte (Renactment), zB eine Schnitzerei, ein Schmuckstück oder ähnliches, auf dem eine Frau abgebildet ist.

Ein möglichst großes Foto in guter Qualität ist eine wunderbare Arbeitsgrundlage.

Ich habe hier die Schnitzerei vom Osebergwagen ausgesucht, wo eine Frau recht resolut einen Mann beim Arm packt, wohl um ihn davon abzuhalten auf den Reiter rechts von ihm loszugehen. Eines meiner Bücher enthält ein recht großes Farbfoto davon (Lebendige Geschichte. In der Welt der Wikinger. 800-1100, ISBN 3-89836-241-8 auf Seite 16 bis 17).

Das Foto paust man am besten sorgfältig ab und berücksichtigt dabei nur die geschnitzten Linien, bzw. je nach Vorlage eben die Linien, die der Künstler gemacht hat, nicht aber die Beschädigungen. So erhält man im Vergleich zum Foto klare Linien statt vieler Details.

Linienzeichnung
Linienzeichnung
Klar zu erkennen ist auf jeden Fall (auch wenn die Darstellung wie fast jede Abbildung aus der Wikingerzeit stark stilisiert ist) dass die Frau eine Schneckenfrisur am Hinterkopf trägt, ein Kleid und einen Gürtel.

Auch die 3 Reihen Perlenketten sind deutlich zu erkennen.

Beim Rest wird es schon schwieriger…(weniger eindeutig)

Unterhalb des Gürtels ist an ihrer Vorderseite ein Feld abgesetzt, das sich deutlich vom Rest ihres Kleides unterscheidet. Ein paar Überlegungen hierzu:

Ich hab mich für die Variante Schürze entschieden, weil sie mir am besten gefällt.

Die „Schürze" ist mit einem feinen Rautenmuster verziert. Mit meinem Wissen über die verarbeiteten Stoffe der damaligen Zeit und ihrer Verzierung halte ich es für am wahrscheinlichsten, dass hier ein Stoff mit Diamant- bzw. Rauten- Köperbindung dargestellt ist. Andere Möglichkeiten wären, das die Schürze irgendwie mit Ziernähten oder zB aufgenähten Kordeln oder etwas ähnlichem mit diesem Muster verziert wurde.

Der Gürtel ist ebenfalls verziert, und in Felder aufgeteilt. Dies könnten Bronze oder Knochenbeschläge sein, ein Gürtel aus gemusterter Brettchenborte, oder ein besticktes Stoffband mit dem die Schürze gehalten wird.

Das Kleid ist auf jeden Fall deutlich kürzer als die Kleider bei anderen Frauendarstellungen. Bei allen mir bekannten Abbildungen von Wikingerfrauen reicht deren Kleid /Gewandung bis zum Boden und bildet hinten noch eine Schleppe, die über den Boden schleift. (Einer der Hauptgründe warum mir DIESE Darstellung so gut gefällt, dass ich mir ein Gewand danach machen möchte… Schon mal versucht im langen Kleid Holz zu hacken?) Und es scheint hinten länger zu sein als vorne.

Die mysteriösen Linien auf dem Unterteil und den Ärmeln des Kleides könnte man wahlweise als Falten oder Verzierung oder Webmuster interpretieren. Auch auf dem Torso-Teil lassen sich ähnliche Linien sehen, wenn auch sehr viel schwächer ausgeprägt. Wenn man jetzt nochmal genauer hinschaut, merkt man, dass die Linien auf den Ärmeln Kurven haben und zusammenlaufen, während die unten am Rock einfach gerade sind.

Das lässt mich darauf schließen, dass es sich um eine Verzierung handelt. In Birka und Jorvik wurden mehrere Kleidungsstücke gefunden, auf die als Verzierung Kordeln oder fingergewebte Bänder aufgenäht wurden (so eine Art Freundschaftsband-Flechttechnik).

Der Rand an den Ärmeln lässt sich am ehesten als Unterkleid, das aus den Ärmeln lugt, oder eine Verzierung am Ärmelsaum (zB Brettchenborte, andere Applikation oder Stickerei) deuten. Ich hab mich für die Unterkleidvariante entschieden.

Konkretisierung
Konkretisierung
Gegen das Webmuster spricht am ehesten, das mir für die Linien als Möglichkeit nur Fischgratköper eingefallen ist, und den sähe ich eher in den Ritzlinien auf der Hose des Mannes, den die Frau festhält. (wie gesagt, MEINE Interpretation… macht eure eigene! ;-))

Dann wäre da noch das seltsame Dreieck am Hals der Frau, und der kleine runde Knubbel darunter.

Bei dem Dreieck habe ich an Kleeblattfibel oder Halsschmuck gedacht (wegen der Linie durch das Dreieck und rund um den Hals, aber entschieden, das die Linie wohl eher ein Sprung durch die Schnitzerei ist. Wenn man näher hinschaut, berührt die Spitze vom Dreieck das Ohr…. Also vielleicht ein Ohrring? Aus dem slavischen Bereich sind mir Ohrringe bekannt, die Sichelförmig sind… also einem Dreieck nicht so unähnlich.

Und den Knubbel deute ich einfach, weil mir danach ist, und sie noch keine Fibel trägt, als eine kleine scheibenförmige Fibel mit einem Knubbel oder eingesetzten Stein in der Mitte, mit der sie ihren Kragen geschlossen hält.

Nachdem das Kleid recht kurz ist, ich eine olle Emanze bin, nichts über Unterwäsche bei Wikifrauen bekannt ist, und Zugluft zwischen den Beinen scheußlich kalt ist, hab ich mich entschlossen, die Linie, die Bein vom Fuß trennt, als Saum einer „langen Unterhose" zu deuten. Könnten natürlich auch Beinwickel oder so was sein. Einfach orientiert an den paar Saga-Erwähnungen von Männerunterhosen.

Das ganze hab ich, während ich mir diese Gedanken gemacht habe, so nach und nach von grob bis Detail skizziert und das Endprodukt mit Tusche nachgezogen, als ich damit zufrieden war.

Arbeitsgewand
Arbeitsgewand
Nachdem ich akut ein Arbeitsgewand brauche, mir keinen Diamantköper leisten kann und obendrein eh genug heftig aufgerüschte Wikingerdarsteller unterwegs sind (warum auch nicht, sind ja super schöne Klamotten), hab ich mich entschieden, nur den Schnitt zu übernehmen, und das Verzieren für ein anderes Gewand aufzusparen. Die kurze Rockform, die hineininterpretierte Hose und die Schürzenform machen die Gewandung für mich zum Arbeiten (a.d. Markt) sehr attraktiv.

Um eine nähere Vorstellung zu bekommen, hab ich mir das ganze nochmal schnell von der ersten Zeichnung abgepaust, und entsprechend meinen Bedürfnissen sämtlichen Firlefanz weggelassen.

Ich finde, das sieht nicht übel aus, und könnte echt was Brauchbares werden. Die Schürze werde ich angelehnt an eine Schuhmacherschürze, und da ich oft mit scharfen Werkzeugen arbeite, aus stärkerem Leder machen, sodass sie beim Arbeiten eine Schutzfunktion erfüllt.

Das Unterkleid wird wie immer, dank meiner Unverträglichkeit von Wolle, aus Baumwolle, und zwar meinem heißgeliebten billigen Baumwollnessel vom schwedischen Möbelhaus. Vielleicht färb ich es diesmal auch in eine andere Farbe um… Braun z.B. könnte ich mir schön vorstellen.

Das Überkleid wird aus einem Reststück vom Flohmarkt, mit ein paar Mottenlöchern drin genäht… heller Wollstoff der wollweiss und hellem graubraun Fischgrat-Köper gewebt ist. Vom Muster her eigentlich zu schade für ein Arbeitsgewand, andererseits mit den Mottenlöchern (die natürlich gestopft werden) wiederum genau richtig und ich weiß eh nicht, was ich sonst damit anfangen sollte. (Hab ich erwähnt, dass ich finde, dass die meisten Klamotten auf den Märkten viel zu neu aussehen? Mut zur Lücke bzw zum Loch!) Wie im Bild werde ich das Überkleid hinten etwas länger als vorne machen.

Bei der "langen Unterhose" übernehme ich einfach den Schnitt von der Thorsberghose.

Kurz noch ein paar Tips zu den Maßen bzw bei der Schnittmustererstellung:

Meine Schnittmuster sind schlicht aus Rechtecken, Quadraten und gleichschenkligen Dreiecken zusammengesetzt, und ich male mir gerade bei Reststücken die Stoffbahn im Maßstab 1:10 auf Karopapier auf und puzzle die Teile dann mit Bleistift so lange in das Stoffbahn-Rechteck, bis ich so gut wie keinen Verschnitt mehr habe - alternativ natürlich auch am Computer...

Schnittmuster Unterkleid
Schnittmuster

Die Ärmel setze ich aus einem Rechteck (Armlänge +4cm Nahtzugabe x Oberarmumfang +5cm Bewegungsfreiheit +4cm Nahtzugabe) und einem Unterarmkeil zusammen. Der Unterarmkeil (2 Dreiecke ergeben ein Viereck) ist ein Quadrat (einfach aus einem Reststück von ca 15x15cm das unter der Achsel zwischen Ärmel und Kleid eingenäht wird um mehr Bewegungsfreiheit zu bekommen. So muss man die Ärmel nicht schräg schneiden und hat weniger Verschnitt. Der Unterarmkeil (bzw das Quadrat) wird diagonal (2 Dreiecke) eingenäht. Wem es hilft: stellt Euch vor, ihr würdet zwei normale Keile in den Ärmel und an der Kleidseite einnähen und in der Mitte zusammennähen...

Front und Rückenteil sind Rechtecke, die sich aus der gewünschten Länge (vom Nacken aus gemessen) und der breitesten Stelle am Körper (halber Umfang) ergeben. Die breiteste Stelle kann die Schulterbreite sein, der halbe Brustumfang (unbedingt beim Messen so tief einatmen wie nur möglich!!!) oder der halbe Bauchumfang sein. Die Hüfte kann ausser Acht gelassen werden, hier wird ja schon mit den Keilen verbreitert.

Man kann die Schultern noch bei der ersten Anprobe abstecken und leicht schräg zuschneiden für eine bessere Passform.

Keile sind Dreiecke mit gleich langen Schenkeln, wir brauchen also die Höhe mal die Breite. Für die Seitenkeile braucht man die Länge von der Taille bis zur gewünschten Saumlänge… lieber 10cm mehr, da sich das meistens beim Nähen verzieht, und so noch vor dem umsäumen passend gekürzt werden kann. Die Breite ergibt sich aus der vorhandenen Stoffbahn und der Zuschnittoptimierung für möglichst wenig Verschnitt. Mindestens 35cm sollten es aber dann doch sein, damit frau keine Tippelschrittchen machen muss. Frontkeile müssen nicht sein, die ergeben sich hin und wieder weil Stoff übrigbleibt, hier gilt dasselbe für die Breite, sie ergibt sich aus der Vermeidung von Verschnitt meistens automatisch. Die Länge muss nicht ganz so lange sein wie bei den Seitenkeilen, aber bis Mitte Oberschenkel sollten sie mindestens reichen.

Das Überkleid sollte sinnvollerweise etwas mehr Ärmelumfang und Breite haben wie das Unterkleid, dafür können die Ärmel ggf etwas kürzer sein, und auch das ganze Kleid, sofern man möchte das Anschauer ein paar cm Stoff vom Unterkleid zu sehen bekommen sollen.

Die Schürze ist auch wieder ein Rechteck, oder ich lasse die gegebene Form von der Haut (Leder) einfach erhalten. Gerundete Kanten wären bei der Rechteck-Variante denkbar. Auf die Oberseite der Schürze wird ein Band oder Riemen aufgenäht (je nach Vorlieben und dem vorhandenem Material, Lederriemen, Brettchenborte, doppelt genähter Stoffstreifen, etc).

Den Kragen schneidet man am besten relativ zum Schluss ins Kleid, die Form bleibt Geschmacksache, oder je nachdem welchen Zeitraum und welche Region man darstellen möchte, gibt es "Modeerscheinungen". Hilfreich ist es, das Kleid in der Mitte (der Länge nach) zu falten, sodass er symetrischer wird, weil man einfach durch beide Lagen gleichzeitig schneidet.

Beim unteren Saum macht es Sinn, ein Helferlein mit einer Stecknadeln zu bewaffnen (Oder Heftgarn und einer Nadel) , sich Kleid-tragend auf einen Hocker zu stellen, und das Helferlein einen einigermaßen geraden Saum abstecken zu lassen. Dann kann man die Sache entsprechend kürzen, wo noch zu lang, und anschließend vernünftig säumen.

Eine Anleitung mit Schnittmuster für die Thorsberghose findet ihr HIER.

Ich habe eine Version die einfacher zuzuschneiden ist und Stoff spart.

reduzierte Thorsberghose
reduzierte Thorsberghose

Die Maße solltet ihr hier etwas großzügiger zurechnen, weil die Hose sonst schnell zu eng ist. 8cm für Bewegungsfreiheit dürften genügen. (Zuzüglich den Nahtzugaben natürlich).

Die Länge des Hosenbeins ergibt sich aus der gewünschten Länge (aussen am Bein gemessen) plus 4cm Nahtzugabe. Die Breite entspricht der dünnsten Stelle an der Hose plus 4cm Nahtzugabe. (also auf keinen Fall dünner als der Umfang von Ferse/Fußrücken bei gestrecktem Fuß plus 2-4cm, sonst kann man ja nicht mehr durch-schlüpfen!)

Die Keile-Breite ergibt sich aus Oberschenkelumfang plus 8cm Bewegungsfreiheit plus 4cm Nahtzugabe, und die Länge ca aus der Innenbeinlänge. Etwas kürzer geht auch, denkt aber dran, das das Hosenbein ggf an der Wade schmäler ist als der Wadenumfang.... in dem Fall muss dann noch genug Keil da sein, um den passenden Umfang plus 2-3cm „Luft" zu bekommen.

Das Hinterteil ist die Ar**hbreite (quer) mal von der Mitte des Schritts bis zur gewünschten Hosenhöhe (Höhe)... Mit Breite meine ich in diesem Fall nicht den halben Umfang, sondern wenn man die Pobacken anspannt und da quer rüber die breite von Pobacke zu Pobacke misst.

Der Schamkeil sollte etwas schmäler als das Hinterteil sein, um etwa 10cm, und ruhig um 10cm zu lang zugeschnitten sein, weil sich das ganze noch etwas verzieht beim Nähen...

Die Gürtelschlaufen 3-4 cm Nahtzugabe in der Länge und die 3fache Breite... die werden umgeklappt, damit sie stabiler sind, und dann vernäht, so dass sie aus 3 Lagen Stoff bestehen.

Bei der Hose lohnt sich eine Heftnaht, bis man alles vernünftig zusammengepuzzelt bekommen hat.

Fotos von der Umsetzung meines neuen Outfits nach diesen Plänen folgen, sobald ich fertig genäht habe. Viel Spaß beim nachtüfteln oder selber-interpretieren.

Eure Meinungen zu meinem Artikel würden mich/uns genauso interessieren wie Eure Erfahrungen und Ergebnise (herzlich gerne mit Fotos) . Schreibt doch eine Email (bitte ggf mit der Erlaubnis eure Mail auf unsere Seite zu veröffentlichen) oder diskutiert das mit uns und anderen in unserem Forum (dann haben alle was davon)

Ronja