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Gewandung für den Reenactor

Die Gewandung sind letztendlich das, was einen Reenactor ausmachen. Sie zeigen, welches Volk man darstellt, welche Epoche, welchen Stand, kurzum, sie machen die Optik der Rolle, in die man schlüpft aus.

Wirklich authentische Kleidung kann man nicht kaufen, man muss sie selbst herstellen. Wie genau man es damit nimmt, muss jeder für sich selbst wissen. Theoretisch müsste man die Fasern selbst verspinnen, mit entsprechenden Mitteln färben und auf einem Gewichtswebstuhl zu Tuch verarbeiten, welches dann mit einer Knochennadeln und handgesponnenem Faden vernäht werden müsste (Beispiel für Wikinger-Reenactor).

Wem das verständlicherweise zu viel Arbeit ist, kann sich mit etlichen Mitteln und Tricks behelfen.
Mit etwas Glück kann man hin und wieder auf Flohmärkten altes handgewebtes Aussteuerleinen oder Bauernleinen bekommen. Dieses entspricht wohl noch am ehesten dem „real thing". Dann gibt es einige wenige Händler, die handgearbeitete Stoffe anbieten, auf Bestellung fertigen oder ein passendes maschinengefertigtes Produkt anbieten, das in etwa so aussieht wie handgemacht.

Ende Sommer und im Herbst kommen dann normalerweise die Winterkollektionen in die Kurzwarenabteilungen, dort kann man immer wieder mal für die heutige Zeit verhältnismäßig grobe Wollstoffe finden die auch von der Farbe und der Webart tauglich sind.

Auch ich „schummle" selbst, weil ich weder die Zeit noch die Kenntnisse habe, selbst Stoff herzustellen. Dazu kommt eine Wollkontaktallergie, weshalb ich meine Wollsachen mit einem dünnen Baumwollstoff abfüttere (BOMULL vom schwedischen Möbelhaus ist relativ unauffällig und sehr günstig). Unsichtbare Nähte oder die Nähte an der Unterkleidung nähe ich mit der Maschine, und bei dünnen Stoffen drücke ich mich gerne mittels Kappnähten (Jeansnähten) ums versäubern. Bei Unterhemden und Unterkleidern nutze ich ebenfalls gerne einen günstigen, dünnen Baumwollstoff, oder zB alte Leinenbetttücher, und ein simples, wenn auch nicht authentisches Schnittmuster, um mir Arbeit und Kosten zu sparen.

Trotzdem kann sich ein Reenactor wenigstens an Funden und Fakten orientiert, um sich einzukleiden. Informationen über Schnittmuster, Farbe, Fadenstärke, Webart, Nahttechnik und Verzierung sind in Zeiten des Internets relativ leicht verfügbar, und gut genug nähen um ein Schnittmuster umzusetzen sollte man so oder so können wenn man sich eine Gewandung machen möchte. (im Zweifelsfall: Oma/Mutter etc fragen, oder einen Grundkurs schneidern in der Volkhochschule belegen)
Im Grunde ist die Näherei die man fürs Frühmittelalter – Reenactment braucht, sowieso recht simpel, wenn man geradeaus nähen kann, eine Schlingnaht zum versäubern kennt (an der Maschine: gerade Naht und Zickzacknaht) und ein bißchen rechnen kann, kommt man bereits recht gut zurecht.

Die Grundkleidungsstücke werden normalerweise aus Rechtecken und Dreiecken zusammengesetzt. Die kann auch ein Anfänger nähen, nötig ist dafür nur ein Grundverständnis der Schnittmuster und wie man sie an die eigenen Maße anpasst. Replikate von Funden sind etwas aufwendiger, und bestehen aus mehr Einzelteilen, und haben auch teilweise Abnäher, jedoch auch die lassen sich von einem fortgeschrittenem Anfänger im Nähen durchaus nachahmen.

Kleiderfund
***Bild Kleiderfund, Grönland aus ISBN 3-89836-241-8***
Wo und wie komme ich also an das passende Schnittmuster?

Ich kann zum einen diverse Quellen im Internet benutzen, wo mir teilweise nicht nur die Schnittmuster, sondern ganze Schritt für Schritt Anleitungen geboten werden.
Dann kann ich mir einen Fund anschauen, wie zum Beispiel das Wollkleid, das in einem Grab im Permafrostboden auf Grönland gefunden wurden. Die Nähte sind gut zu erkennen, und somit auch die einzelnen Teile aus denen diese Kleidungsstücke zusammengefügt wurden, den Schnitt des Kragens, und ich finde Angaben zur Datierung, dem verwendetem Material usw.

Leider sind die wenigsten Funde so gut und vollständig erhalten wie dieses Kleid. Meistens sind es nur kleine Fetzen, die eventuell aufgrund ihrer Lage beim finden (zB in einem Grab, die Positionierung zum Skelett, Kopf= Mütze oder ähnliches) Immerhin lassen sich auch aus den Fetzen Informationen wie Material, Materialstärke, Webart, und auch teilweise die Nähte bzw Naht-Techniken bekommen. Durch chemische Analysen kann man auch (nicht immer) herausfinden, mit welchen Mitteln die Fasern gefärbt wurden. Gebündelt findet man diese Informationen zB in den beiden Büchern Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu Band 29 und 20 finden. Beide sind von der Textilarchäologin Professor Inga Hägg verfasst, die auch ein neues Buch verfasst hat, das aber noch nicht erschienen ist: Textil und Tracht in Haithabu. I: Die Ausgrabungen in Haithabu. Es soll 2012 erscheinen, ich vermute mal eher 2013. Bei größeren Fragmenten die Nähte mit dran haben, haben sich die Archäologen, die die Publikationen verfasst haben, auch in der Rekonstruktion versucht. In oben genannten Büchern findet man einige Schnittmuster (die, je nachdem, eben spekulativ sind)

Ich kann mir auch schriftliche Überlieferungen betrachten, zB die Reiseberichte unserer beiden hochgeschätzten Araber, Ibn Fasud und Ibn Fadlan, und mir überlegen, was die Herren damit beschreiben wollten.

http://de.wikipedia.org/wiki/Ibn_Fadlan

Diese Methode kann man, denke ich, getrost als die unpräziseste, aber auch die schwierigste bezeichnen.

Ausserdem kann ich selbst Kleidungsstücke interpretieren, in dem ich mir Figuren, Darstellungen, Schnitzereien und so weiter näher betrachte. Ein sehr schönes Beispiel hierfür findet man im Buch "Lebendige Vergangenheit. Vom archäologischen Experiment zur Zeitreise" von Erwin Keefer, wo Studenten der Goethe-Universität Frankfurt am Main aus Idolfigürchen der Bandkeramischen Kultur (Wikilink: http://de.wikipedia.org/wiki/Bandkeramische_Kultur) anhand der eingeritzten Muster für den Hessentag 2004 eine ganze Modenschau zusammeninterpretiert hatten.

Interpretation Brandkeramischer Kleidung
***Bild Interpretation Brandkeramischer Kleidung aus ISBN 987-3-8062-1889-3***
Natürlich kann man bei einer solchen Interpretation falsch liegen. Man weiß ja nicht, ob eine Ritzlinie einen Materialwechsel, einen Farbwechsel oder möglicherweise beides bedeutet. Man kann auch nicht sagen, wie genau das Schnittmuster stimmt, denn die zeitgenössischen Darstellungen der Wikinger sind stark stilisiert.

Benutzen wir beispielsweise diesen Fund, der inzwischen im Museum Roskilde ausgestellt ist: http://www.haithabu-tagebuch.de/artikel/odin_fra_lejre_2009.html

Odinsfiguerchen
***Odinsfigürchen aus Gammel-Lejre ***
Die Figur stellt vermutlich einen Mann dar, der auf einem „Thron" sitzt. Man könnte nun also davon ausgehen, das die dargestellte Person sozial eher weit oben auf der Leiter stand und über einen gewissen Reichtum verfügt. Nennen wir es der Einfachheit halber "Er". Gesagt werden sollte noch, dass diese Figur winzig ist, ca 2cm breit, knapp 2cm hoch und nicht ganz 1,5cm tief... das Detailreichtum ist also stark eingeschränkt, durch die Maße des Funds.
Zu erkennen ist in Bezug auf die Kleidung folgendes: